• Leadership

Das Richtige richtig tun

Angela Matthes hat den Change ihres Lebens vollzogen – und dabei ihr Team und viele Menschen darüber hinaus an der richtigen Stelle abgeholt. Die CEO der Baloise Life in Liechtenstein im Gespräch über das vermeintlich Unmögliche.

Angela Matthes, CEO der auf Renten- und einkommensbezogene Lebensversicherungen spezialisierten Baloise Life (Liechtenstein) AG, war kürzlich im Silicon Valley, um sich die disruptiven Kräfte anzusehen, die sich als Start-ups, wie Matthes es sagt, ­„einen Teil der Wertschöpfungskette der Banken und Versicherer genommen und gesagt haben: ‚Das können wir besser!‘“. Eine Learning Journey, wie man dort Themen anpackt und auch zum Ziel bringt, erzählt sie.

Mit kleiner Verzögerung schießen dort nach den FinTechs auch zunehmend InsureTechs aus dem Boden. Und so wie Matthes aus ihrem Alltag erzählt, prallen in der traditionsreichen Branche zurzeit Teile der alten mit jener der neuen Welt – Fax gegen (bald) Blockchain – aufeinander. Vor allem im Bereich, in dem sie tätig ist.

Die Baloise Life am Standort Balzers arbeitet an der Digitalisierung ihrer Prozesse und Schnittstellen zu den Vermögensverwaltern, Banken und Kunden – für mehr Transparenz und weniger Verwaltungsaufwand unter anderem. Wichtig, so Matthes weiter, sei es, die 150-jährige Tradition des Schweizer Versicherers, die in vielen Ländern als Basler auftritt, auch in die digitale Welt zu transportieren, „die Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit der Marke – im konkreten Fall Renten- und Lebensversicherung – spürbar zu halten“.

Gleichzeitig aber werden die Mitarbeiter auf die Zukunft eingeschworen. Matthes regt Diskurse zu zukünftigen Jobprofilen an, sie regt sie an, sich zu informieren – „wir lesen bewusst analoge ­Bücher zu digitalen Themen“ –, um so auch Zukunftsängste abzubauen. Insgesamt zählt die Baloise Group 7.300 Mitarbeiter; das Geschäftsvolumen der Gruppe lag mit Stand 30. Juni 2017 bei 5.671 Millionen CHF. Am Standort Balzers umfasst das Team nach Restrukturierungen im Jahr 2012 heute 24 Mitarbeiter. „Klein, aber oho 4.0“, lautet das Motto des eingeschworenen Teams, das als agile Truppe in den nächsten fünf Jahren durch die „Reduktion von Komplexität für Kunden, Partner und das Unternehmen auf das Relevante“ positiv auffallen will – so steht es in einem der Besprechungsräume auf einem Poster.

Am Standort Balzers hat man sich vor rund drei Jahren schon einmal auf das Relevante konzentriert – Mut, Offenheit und Herz. Vor drei Jahren kannten die Kollegen von Angela Matthes diese nämlich noch als Mann.

Frau Matthes, Sie sind seit 2013 bei Baloise Life in Liechtenstein und bei der Baloise Gruppe …
… seit 1983. Ich bin mit 15 eingestiegen und habe bei der Basler Versicherung in der Schweiz eine dreijährige Lehre absolviert. Damals schon war ich in der Lebensversicherung und durfte kontrollieren, ob die richtigen Prämiensätze in den Anträgen eingesetzt sind.

Das ist eine lange Zeit …Und wenn ich mit 65 Jahren in Rente gehe und ich so lange bei der Baloise bleiben kann, werde ich 49,5 Jahre für ein Unternehmen gearbeitet haben. Ich habe einfach immer wieder neue Möglichkeiten bekommen, Neues zu lernen, durfte rasch Führungsverantwortung übernehmen, in neue Gebiete reinschauen. 1999 durfte ich einen komplett neuen Bereich aufbauen, wo wir die ersten Onlineprodukte für die Basler Schweiz erstellt haben. Und die vier Jahre, bevor ich nach Liechtenstein kam, war ich mit der Implementierung der Gruppenstrategie engagiert.

2013 kamen Sie dann zur Baloise Life nach Liechtenstein. Das Unternehmen hatte ein Jahr davor einen Change erlebt – und Sie hatten in gewisser Weise Ihren persönlichen noch vor sich. Für Ihre Kollegen waren Sie damals nämlich noch ein Mann.
Ja. Ich bin ein Jahr nach dieser Restrukturierung gekommen, bei der auch die Hälfte des Personals abgebaut wurde, und dann kommt nach neun Monaten wieder ein neuer CEO – das war ich. Man hat damals ein Jahr nach der Restrukturierung die Verunsicherung noch gespürt. Und meine Hauptaufgabe war es, das Vertrauen der Menschen wiederzugewinnen, dem Unternehmen eine Zukunftsperspektive zu geben. Parallel dazu habe ich bei INSEAD eine Ausbildung für Coaching und Consulting in Change begonnen, da ich bereits damals schon wusste, dass diese Transition geschehen muss. Die Ausbildung war für den Fall der Selbstständigkeit, falls mein Arbeitgeber nicht mit meiner Veränderung umgehen kann.

Dann sind aber gleichzeitig zwei Dinge passiert: In der gemeinsamen Arbeit habe ich das Vertrauen der Menschen hier gewonnen und habe mich aber gleichzeitig sehr wohlgefühlt mit dem Vertrauen, das sie mir entgegengebracht haben. Und dann war diese Ausbildung in Fontainebleau, in der ich klar kommuniziert habe, dass ich Trans bin, aber die Transition noch nicht vollzogen habe. Noch im Rahmen des Programms habe ich einen Riesenschritt gemacht, bin zu noch mehr Klarheit gelangt. Im März 2014 war ich bereits als Angela in Fontainebleau und im Mai 2014 habe ich dann in Basel einen Termin mit dem Leiter der Group HR, dem Group CEO und dem Verwaltungspräsidenten der Baloise Liechtenstein gehabt, um ihnen von dem Schritt zu erzählen, den ich im Herbst tun wollte.

Wie haben sie es aufgenommen?
Sie haben es mit offenen Armen akzeptiert. Damals habe ich gleich kommuniziert, dass es mir wichtig ist, mit möglichst vielen Menschen im Unternehmen zu sprechen, sie vor der öffentlichen Erklärung abholen zu können. Ich wollte Fragen beantworten und helfen, diese Menschen auf meinen Schritt vorzubereiten. Zwischen Mai und August habe ich mit 150 Personen Einzel- und Gruppengespräche geführt. Bis zur Intranetaussendung und zur Pressemitteilung am 29. August gab es dazu kein einziges Gerücht nach außen.

"Wir haben eine kleine Abschiedsparty gefeiert – ich habe alle meine Krawatten verschenkt und bin zwei Wochen später als Angela zurückgekommen."

Wie haben Sie dann Angela Matthes in die Firma on-geboardet?
Ich bekam einen Tipp von meiner Therapeutin, die mich im Zuge der Gesprächsvorbereitungen gecoacht hat, einen offiziellen Abschluss zu gestalten. Für mich selbst, aber auch für alle anderen. Wir haben also am 14. August hier in der Küche eine kleine Abschiedsparty gemacht. Ich habe alle meine Krawatten verschenkt und bin dann weggegangen, um mein letztes Modul bei Insead zu absolvieren. Mit zwei Wochen Distanz, am 1. September, habe ich als Angela hier begonnen.

Wie war der erste Arbeitstag?
Ich hatte schon vor diesem ersten Arbeitstag die Idee, bei einem After-Work-Drink meinen Kollegen Angela vorzustellen. Die ersten fünf Minuten waren beide Seiten ein bisschen nervös, aber danach war das Thema gegessen und so ist der 1. September zu einem Non-Event geworden.

Das Besondere am 1. September war, dass sich noch Ende Juli die Finanzmarktaufsicht für den 1. September für einen Besuch angekündigt hatte. Natürlich hatte ich auch dort meine Situation frühzeitig angekündigt. Nur die, die kamen, waren nicht die, mit denen ich gesprochen hatte. Und was mir noch in Erinnerung geblieben ist an diesen Tag, ist, dass mich unsere Gäste damals erstmals mit Frau Matthes angesprochen haben, was sich, weil ich für Freunde und Kollegen einfach „nur“ Angela war, anfangs sehr fremd angefühlt hat.

Angela Matthes
Bereits mit 15 Jahren setzt Angela Matthes bei der Basler Versicherung erstmals einen Fuß in die Branche. Es folgt eine steile Karriere in der Baloise Gruppe – u. a. als Leiterin „Privatkunden Leben“ und „Privatkunden Direct“ bei der Basler Versicherung. Seit 2013 ist Angela Matthes CEO der Baloise Life. Matthes ist eidgenössisch diplomierte Versicherungsfachfrau und hält einen MBA.

Sie sind ja als CEO an exponierter Stelle – wie waren die Reaktionen von extern?
Sowohl von intern als auch von extern habe ich viele schöne Rückmeldungen bekommen. Viele persönliche Kontakte und Mails, unterstützende, positive Reaktionen.

Bereuen Sie es, dass Sie das alles nicht schon früher gemacht haben?
Für mich war es der richtige Zeitpunkt, einfach alles war 2013/2014 in richtiger Position. Ich war bereit und offenbar war mein Umfeld auch dazu bereit. Ob ich zehn Jahre früher genau die gleiche Reaktion bekommen hätte, das weiß ich nicht. Ich hatte vor zehn Jahren den Mut dazu noch nicht. Heute bin ich überglücklich, dass ich diesen Schritt vor drei Jahren gemacht habe und freue mich auf das Leben, das vor mir liegt.

Sie haben auch eine geschlechtsangleichende OP machen lassen …
Ja, in zwei Schritten. Wobei der erste Schritt die eigentliche Transformation ist – das ist auch eine große Operation, die etwas über fünf Stunden gedauert hat. Und nach sechs Monaten findet eine zweite OP statt für die Detailkorrekturen.

War dieser Eingriff für Sie damals wie ein „formaler Akt“?
Nein, gar nicht. Das war schon noch ein großer Schritt. Denn vor der geschlechtsangleichenden Operation muss man ja Untersuchungen beim Hausarzt machen – Blutuntersuchungen und EKG etc. Und das Ergebnis dieser Untersuchungen war bei mir: Du bist kerngesund. Ich bin 47 Jahre alt geworden und war gesund, musste keine Medikamente nehmen und nichts dafür tun, gesund zu sein. Und jetzt gehe ich hin und lasse meinen Körper verändern, was dazu führt, dass ich mich den Rest meines Lebens um meinen Körper kümmern muss – ich muss zum Beispiel jeden Tag Hormonpräparate zuführen. Letztlich habe ich mich aber in meinem neuen Leben so wohlgefühlt, dass ich ganz Frau sein wollte und diesen letzten Schritt tun musste. Ich habe das auch bis heute nicht bereut.

Es gibt Momente im Leben, wo Frauen sich darüber ärgern, als Frau geboren worden zu sein. Was möchten Sie diesen mitgeben?
Wir müssen uns nicht der Männerwelt angleichen. Es gibt im weiblichen Sein sehr viele Eigenschaften, die uns helfen, eine andere Führungskraft zu sein, auf eine andere Art Karriere zu machen. Und ich denke, dass in der Welt, in die wir hineinsteuern, die weiblichen Aspekte wichtiger werden. Wenn Sie das als maskuline und feminine Führungseigenschaften, als Yin und Yang, sehen wollen, dann haben sie bei Yang die Hierarchie, Struktur und die Autorität und bei Yin Offenheit, Emotion und eher das Chaos. Ich glaube, in Zukunft wird das weibliche Wesen helfen, besser zu bestehen. Man muss das andere aber auch kennen und bei Bedarf nutzen, so, wie die männliche Führungswelt die weiblichen Werkzeuge gerade kennenlernt und diese auch vermehrt nutzt.

Haben Sie noch Wünsche – nachdem Sie sich so viele schon erarbeitet und erfüllt haben?
Ich will das Leben genießen – und freue mich, wenn der Richtige vorbeikommt.

Angela Matthes war unter dem Motto „Navigating Change“ als Speakerin beim Forbes Women's Summit am 21. März 2019 zu Gast.

Außerdem wird Angela Matthes als Speakerin am Forbes Women’s Summit in Zürich auftreten.

,
Herausgeberin

Up to Date

Mit dem FORBES Newsletter bekommen Sie regelmäßig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-Mail-Postfach geliefert.

Surprise me

ZWISCHEN DEN ZEILEN LESEN

Milliarden von Nachrichten und Codes: Ketevani Zaridze, Gründerin und CEO des Technologieunternehmens Logmind, will brachliegende Logdateien in wertvolle Erkenntnisse für Unternehmen verwandeln.

Read more

Weibliche Doppelspitze

Mit Anfang April traten Gabrielle Costigan und Claudia Witzemann ihren Job in der Geschäftsführung bei Wexelerate an. Deklarierter Stil des Führungsduos: kooperativ.

Read more

Der Duft von Holz

Das Papier-Exportgeschäft bei Stora Enso ist kein einfaches Pflaster.

Read more

Die Eigenwillige

Corinna Powalla hat mit ihrem Start-up Modomoto im Onlinemodeversand Fuß gefasst. Ihr aktuelles Projekt soll ihr nun dabei helfen, neue Vertriebskanäle fernab von Google und Co. aufzubauen.

Read more

Erfolg auf Taubenfüssen

Tara Shirvani lebt seit über zehn Jahren im Ausland. Nach ihrem Studium in Cambridge ist die „Forbes 30 Under 30“ von 2016 für die Weltbank tätig. Doch die Wienerin liebäugelt mit einer Rückkehr.

Read more

Ja, Veränderung!

Seit 2010 führt die ING Group agile Organisations- und Führungsstrategien ins Unternehmen ein. Vom Headquarter in den Niederlanden aus wird das Programm weltweit ausgerollt. Verantwortlich dafür ist Leonoor Koomen, Lead Agile Enterprise Coach.

Read more

Im Aufbruch

2014 gründete Maha Shirah einen Coworking Space in Riad, Sheworks, nur für Frauen. Die 39-Jährige war dabei maßgeblich an der Erstellung von Standards für Start-up-Gründungen in Saudi-Arabien beteiligt.

Read more

Intelligenzbestien

Xephor Solutions hat das menschliche Gehirn digitalisiert. Obwohl man vieles darüber noch gar nicht weiß, haben die Unternehmer einfach mal losgelegt – und fordern damit das Human Brain Project der Europäischen Kommission heraus.

Read more