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Globale Nomadin

Amel Deragui

Partner von Expats werden von Tandem Nomads bei Familien- und Business-Themen unterstützt.

Amel Derragui bezeichnet sich selbst als „Global Nomad“. Die 34-jährige Algerierin, deren Eltern Diplomaten sind, wurde in Indien geboren und wuchs in Uganda, Serbien und Frankreich auf. Als sie beginnt, die Orte ihrer Kindheit und Jugend aufzuzählen, kommt sie kurz ins Stocken. „Manchmal“, so sagt sie, „vergesse ich, wo ich schon überall gelebt habe“ – und lacht. Seit drei Jahren jedenfalls lebt sie – mit ihrem Mann, einem österreichischen Diplomaten – in New York. Und weitere vier Jahre soll der Big Apple ihre Homebase bleiben. „Die insgesamt sieben Jahre hier werden dann für mich die längste Zeitspanne sein, in der ich an einem Ort gelebt habe.“ Wo es danach hingehe? Das wisse sie nicht. „Wenn ich immer darüber nachgedacht hätte, was danach kommen hätte können, hätte ich mein Leben verpasst.“

Derragui ist Gründerin der Plattform Tandem Nomads, auf der sie via Podcast und Webinars aller Art anderen Partnern globaler Nomaden mit Rat zur Seite steht. Darüber hinaus bietet sie Beratung in Sachen „Portable Business“ an: In einer globalen Welt sollte das Business – bildlich gesprochen – in einen Koffer gepackt und mitgenommen werden können, sagt sie. Was es dazu braucht, weiß sie aus eigener Erfahrung genau.

Als Business war Tandem Nomads ursprünglich nicht geplant, blickt sie zurück, sondern als Plattform für Austausch und gegenseitige Bestärkung. „Ich habe nach einer Möglichkeit gesucht, meiner eigenen Lebens- und Arbeitssituation Ausdruck zu verleihen und darüber hinaus anderen Expat-Partnerinnen Tipps zu geben – vieles, was diese Frauen aktuell erleben und mit dem sie umgehen müssen, habe ich selbst schon durchgemacht bzw. kenne ich deren Probleme durch Beobachtungen, Gespräche und eigene Erfahrungen ziemlich genau.“

Mit diesem Zugang, auch einmal ganz alltägliche Tipps für das Leben in einer fremden Umgebung zu geben – „ein Podcast ist für mich das ideale Medium dafür: Man kann ihn mitnehmen, ihn überall anhören, wo man will!“ –, schlug Derragui in einer Nische auf, wo es offenbar genügend Nachfrage nach Austausch und Unterstützung gibt. Das Geschäft laufe immer besser, momentan reinvestiere sie die Einnahmen in den weiteren Ausbau der Plattform.

Ich selbst bin an so vielen Orten aufgewachsen und habe mich immer angepasst – bis ich mich gefragt habe, was eigentlich meine Meinung, meine eigene Identität ist.

Amel Derragui hat aus ihrer eigenen Geschichte und ihren Bedürfnissen gelernt und spornt so andere Nomadinnen an, den Beruf ihrer Männer nicht als Ausrede dafür zu verwenden, kein eigenes Business haben zu können. Wenn man den eigenen Job und sein soziales Umfeld im Heimatland für Mann und Familie zurückgelassen hat, erhöht das die Abhängigkeit vom Partner; nicht zuletzt erkennen viele dann, wie viel der Beruf zur eigenen Identität und zum Selbstwertgefühl beigetragen hat. „Ich selbst bin an so vielen unterschiedlichen Orten aufgewachsen, war inmitten verschiedenster Kulturen und habe so gelernt, mich anzupassen – bis ich mich gefragt habe, was eigentlich meine Meinung, meine eigene Identität ist.“

Mit 17 Jahren zog Derragui aus dem elterlichen Haushalt (damals in Afrika) aus, um in Paris das Gymnasium abzuschließen und später ein Studium zu beginnen. „Ich wollte keinen Fernunterricht mehr, ich war eine gute Schülerin, wissbegierig.“ In Paris bezog sie ihr eigenes Appartment. „Dort bin ich schnell erwachsen geworden. Während meine Schulkollegen in die Mall ins Kino gegangen sind, habe ich dort Essen und Putzsachen für meinen Haushalt eingekauft.“

Ich plante eine Wohnung in Paris zu kaufen und nie mehr umzuziehen.

Im dritten Studienjahr, noch immer in Frankreich, wurde Derragui von einer Firma aus Utah angeheuert, um Enzyklopädien zu verkaufen – von Tür zu Tür. „Das war mein Eintritt in den professionellen Arbeitsmarkt“, erinnert sich die Unternehmerin, „wenn man das gemacht hat, kann man, denke ich, alles machen.“ Kurze Zeit später stieg sie im Unternehmen auf und stellte ihre eigenen Teams zusammen. Ihr Wirtschaftsstudium schloss sie schließlich in Arizona ab. Danach ging sie wieder zurück nach Frankreich, heuerte in der Werbebranche an und plante, „eine Wohnung zu kaufen und nie mehr umzuziehen“, erzählt sie und kann sich das Lachen nicht verkneifen, wissend, was sie als Nächstes berichten wird.

Denn bei einem Besuch bei ihren Eltern, die damals im Iran stationiert waren, lernte Derragui ihren zukünftigen, damals auch dort stationierten Ehemann kennen, der ihre Pläne zur Sesshaftigkeit dann doch heftig durcheinanderwirbelte. „Von Anfang an klar war allerdings, dass ich meine Karriere sicher nicht für ihn aufgeben werde.“ Derragui verlegte sich fortan auf das Consulting-Business, beriet unter anderem auch österreichische Firmen, die Kooperationen mit algerischen Firmen eingehen wollten.

Es war geradezu so, als hätte ich vor Amerika gar keine beruflichen Erfahrungen gemacht.

2014 ging es dann gemeinsam nach New York. Und so, wie sie es davor auch schon gemacht hatte, suchte sich Derragui eine Consulting-Nische, was aber nicht gelingen wollte. „Es war geradezu so, als hätte ich vor Amerika gar keine beruflichen Erfahrungen gemacht. Alle wollten von mir wissen, was und wen ich in den USA beraten hatte. Meine internationale Erfahrung interessierte niemanden. Ich fühlte mich unheimlich verloren, begann aber damit, auch darüber nachzudenken, wie ich mein Business meiner Lebenssituation anpassen konnte. Das war mein Ausgangspunkt für Tandem Nomads. “

Expat-Partnerinnen, die die Familie und in gewisser Weise – von Schule bis Arzt – die gesamte Infrastruktur organisieren, müssen sich immer wieder von Neuem beweisen. Ist nämlich einmal das Umfeld aufgebaut und kommt alles langsam zur Ruhe, steht der nächste Umzug an. Und dann beginnt wieder alles von vorne. Viele Frauen sabotieren sich dann in gewisser Weise auch noch selbst: Sie erkennen ihren eigenen Wert nicht an. Ich erinnere mich an eine Rückmeldung von einer Frau, die ich in ihrem Portable Business beraten habe, die gesagt hat: ‚Ich war so überrascht, dass mir diese Firma so viel gezahlt hat. Ich hatte total vergessen, dass ich das eigentlich wert bin.‘“ Derragui weiter: „Wichtig ist, die Männer zu involvieren. Die Partner müssen eingebunden sein, müssen die Projekte unterstützen – und ihre Partnerinnen, selbstredend. Die wiederum müssen diese Unterstützung aber auch einfordern.“

Wo aber endet so ein Nomadenleben nach dem Jobleben? „Darüber nachzudenken ist hart, wenn man so aufgewachsen ist und lebt wie ich.“

Amel Derragui
Seit Beginn dieses Jahres ist Amel Derragui fulltime mit ihrer Plattform Tandem Nomads beschäftigt. Dort stellt sie nicht nur Podcasts mit allerlei Ratschlägen – von der Schul- und Arztsuche bis hin zur Steuerberatung – für den Alltag globaler Nomaden online, sondern bietet auch Beratung, Trainings und Webinare aller Art an. Sie ist gefragte Speakerin – u. a. FIGT (Families in Global Transition), Weltbank oder IWF – und veranstaltet ihre eigenen Tandem-Nomad-Konferenzen, wie zuletzt in New York und Südkorea.

Fotos: Matt Furman

Dieser Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2017 „Women“ erschienen.

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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