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GOOD, BAD, BETTER

2018 machte Cambridge Analytica mit seinem Datenanalyseskandal Schlagzeilen. Brittany Kaiser war maßgeblich am Aufbau des Unternehmens beteiligt – um sich dann gegen es zu wenden. Nun setzt sie sich für Datenschutz ein.

Man stelle sich vor, jede Handlung, jeder Schritt und jede Aussage ­hinterlässt eine sichtbare Spur, die nicht verschwindet und nicht zerstört werden kann. Alles, was wir tun, wäre gespeichert und würde über uns als Person ­weitreichende Rückschlüsse ermöglichen – und zwar weit mehr als ein intimes Gespräch. Die Rede ist dabei nicht von der analogen Welt, es geht vielmehr um Millionen von Daten im virtuellen Raum, die wir in die Welt setzen; und zwar, ohne zu wissen, wer ­unsere Informationen in die Hände bekommt oder was damit geschieht.

Likes, Buchungen, Such­anfragen, Standorte – alles wird gesammelt und mit der eigenen ­Identität verknüpft. Es entstehen Profile, die Aufschluss darüber geben, ­wovor wir Angst haben, was uns begeistert und was uns zutiefst abstößt. „Die digitalen Spuren, die wir hinterlassen, begründen eine Branche, die eine Billion US-$ Umsatz im Jahr macht – und wir sind ihr Rohstoff“, so David Carroll, ­Associate Professor an der Parsons School of Design in New York, in der Netflix-Dokumentation „The Great Hack“.

Die Dokumentation gibt ­Aufschluss über den Cambridge-Analytica-Skandal, der 2018 aufflog. Das Unternehmen hatte ­Daten von Wählern – etwa für die US-Präsidentschaftswahl 2016 oder das Brexit-Referendum 2018 – gesammelt und Wählerprofile erstellt. Am Ende wurde für den ­Brexit gestimmt, Donald Trump ­wurde US-Präsident – und Cambridge ­Analytica geriet 2018 in den ­medialen Fokus bezüglich seines ­Beitrags zum Ausgang beider Kampagnen. Doch wie viel Einfluss ­hatte Cambridge Analytica tatsächlich auf die Wahlausgänge? Laut ­der Medienpsychologin Sarah Genner – dies geht aus einem Artikel in der FAZ hervor – müsse man zwischen zwei Aspekten unterscheiden: eine politische Botschaft zu sehen und nach dieser Botschaft zu handeln.

Brittany Kaiser
... promovierte an der Middlesex University London in Philosophie und war als Social-Media-Praktikantin für Barack Obamas Wahlkampagne tätig. Ab 2017 arbeitete sie dann für das britische Unternehmen Cambridge Analytica und sorgte 2018 als Whistleblowerin für den gleichnamigen Skandal. Heute ist sie Datenschutzaktivistin, 2019 gründete sie die Own Your Data Foundation.

Laut Brittany Kaiser, früher Director of Business Development bei Cambridge Analytica, steht jedoch fest, dass die Strategie des ­Unternehmens einen maßgeblichen Einfluss auf die jeweiligen Ergebnisse hatte. Bei einer zweitägigen Nachbesprechung wurde ihr damals das volle Ausmaß bewusst, erzählt sie: Das Team von Trumps Kampagne hätte ihr alle Daten, die es sammelte, gezeigt und so veranschaulicht, wie es die Nutzer in Gruppen zusammengefasst und anvisiert hatte. „Während der Trump-Kampagne standen gezielt jene Leute im Fokus, von denen wir annahmen, wir könnten ihre Meinung ändern – die Überzeug­baren.“ Um über einen ­Algorithmus vorherzusagen, welche Person Trump, Clinton oder keinen von beiden wählen würde, ob ­einer Person Bildungsthemen oder die ­nationale Sicherheit am Herzen liegt, erstellte Cambridge ­Analytica Datensets mit bis zu 5.000 Datenpunkten – ein ­Algorithmus bestand dabei aus rund 400 persönlichen Informationen.

Sie wollte kein Teil ­dieses ­Systems mehr sein, wie Kaiser sagt. Also wandte sich die ­Texanerin – die zuvor als Praktikantin bei Barack Obamas Wahlkampf dessen Facebook-­Seite gepflegt und sich bei Amnesty International, den Vereinten Natio­nen und dem Europäischen Parlament für Menschenrechte und internationale Beziehungen eingesetzt hatte – im März 2018 gegen Cambridge Analytica. Doch wie war sie überhaupt dorthin gekommen? In einer Zeit, in der sie ihre beruf­liche Ausrichtung hinterfragte, weil Ergebnisse nur schwer sichtbar waren, traf sie auf Alexander Nix, den damaligen CEO von Cambridge Analytica, der ihr ein Jobangebot machte. Bei diesem Unternehmen habe sie das Ergebnis ihrer Arbeit sofort gesehen, sagt ­Kaiser in „The ­Great Hack“.

Kritiker versuchten, ihren Seitenwechsel nachzuvollziehen – von der guten Seite auf die böse und wieder zurück sozusagen. Es kamen Zweifel an Kaisers Rechtschaffenheit auf: Sie hatte nach dem Skandal nicht sofort gekündigt und weiterhin für das Unternehmen gearbeitet – und sogar geholfen, das Geschäft weiter zu internationalisieren.

Und: Hätte einer der ­führenden Angestellten im Unternehmen nicht schon viel früher bewusst sein müssen, was da läuft? Immer wieder betont Kaiser, dass ihr das volle Ausmaß nicht von Anfang an bewusst gewesen sei – auch in unserem Inter­view. Irgendwann entschloss sich Kaiser, zu handeln – und lieferte der britischen Tageszeitung The Guar­dian sensible Informationen über die internen Vorgänge. Und wie aus einem Artikel in der Zeit hervorgeht, musste sie aus finanziellen Gründen bei Cambridge Analytica weiterarbeiten, bis sich neue Optionen ergaben. Heute ist sie Datenschutzaktivistin und Speakerin – so auch beim Worldwebforum in Zürich Anfang 2020, in dessen Rahmen auch dieses Interview stattfand.

„Gewohnheiten ändern sich nicht von heute auf morgen. Die Regierung muss Gesetze erlassen“, sagt Brittany Kaiser zum Schutz persönlicher Daten.

Kaiser hat mittlerweile die Own Your Data Foundation ins Leben gerufen, die Menschen darüber aufklären soll, was mit ihren Daten geschieht und wie sie sich schützen können. Zudem verfasste die US-Amerikanerin das Buch „Targeted“, das auf geheime Treffen zwischen Cambridge Analytica und Mitarbeitern der Trump-Kampagne eingeht und für rechtliche Kontrolle der Datenindustrie plädiert. „Es fängt damit an, dass man sich die Geschäftsbedingungen durchliest, bevor man sich eine App herunterlädt. Doch die ­volle Verantwortung, wenn es um den Schutz der Daten geht, sollte nicht allein bei den Nutzern liegen“, so Kaiser. „Gewohnheiten ändern sich nicht von heute auf morgen. Die Regierung muss entsprechende ­Gesetze erlassen.“

Sie meint Gesetze, die sicherstellen, dass persönliche Daten den Nutzern selbst gehören und jede Person das Recht hat, ihre Daten von Unternehmen einzufordern und sie gegebenenfalls löschen zu lassen. Dass persönliche Daten ­einen monetären Wert haben, zeigt eine 2016 von der Open Knowledge Foundation Deutschland durchgeführte Studie: Dabei wurde der Wert von Daten anhand des durchschnittlichen Erlöses eines Unternehmens pro Verbraucher und Jahr ­berechnet. Zu solchen Unternehmen zählen etwa Facebook, Google oder ­Twitter, weil deren ­Ge­schäftsmodell auf die Verwertung persönlicher Nutzer­daten abzielt. Verdiente Facebook 2009 beispielsweise nur 3,08 US-$ pro Nutzer, waren es 2019 bereits 29,25 US-$ – bei einer weltweiten Nutzeranzahl von 2,9 Milliarden.

Laut Kaiser können Daten mittlerweile als wertvollste Ressource der Welt angesehen werden – und die sollte entsprechend geschützt werden. Erst vor Kurzem hat sie dem Guardian weitere empfindliche ­Informationen zu Cambridge Analytica und dessen Datenmissbrauch zugespielt. Ist das Kaisers Beitrag, ­Geschehenes wiedergutzumachen? Den Effekt ihrer Arbeit sieht sie ­dabei jedenfalls sofort.

Text: Andrea Gläsemann
Fotos: Kilian Kessler

Der Artikel ist in unserer März-Ausgabe 2020 „KI“ erschienen.

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